In der Reihe „Backstage: Karrieren, Klischees und was wirklich zählt“ stellen wir unterschiedliche Tätigkeitsfelder rund um das Management von Kommunikation vor, geben Einblicke in den Berufsalltag und räumen mit Klischees auf. In dieser Ausgabe zum Thema Stakeholder Management sprechen wir mit Anne Reyer, Senior Communications Manager Green Gases bei der VNG AG, einem Unternehmensverbund für Energiedienstleister und Infrastrukturbetreiber mit dem Schwerpunkt Gasversorgung.
Im Kern geht es darum, herauszufinden, was die Menschen bewegt.
Was versteht ihr bei VNG unter Stakeholder Management und wie unterscheidet sich dieser von anderen Bereichen der Unternehmenskommunikation?
Der Begriff Stakeholder Management ist relativ dehnbar. Bei VNG unterscheiden wir lokales und politisches Stakeholder Management. Ich persönlich bin im lokalen Stakeholder Management tätig. Darunter fallen alle Kommunikationsaktivitäten rund um die Investitionsvorhaben der VNG an verschiedenen Standorten und mit allen Personengruppen, die davon betroffen sind. Wir sprechen mit den Gemeinden, Anwohner:innen, Naturschutzorganisationen und allen anderen, die unser Projekt tangiert. Unsere Stakeholder sind also keine abstrakten Konstrukte, sondern sehr konkrete Personen mit Gesicht. Das macht die Kommunikation näher und menschlicher, da es um die Akzeptanz des Einzelnen geht.
Die Methoden, Kanäle und Instrumente des Stakeholder Managements sind im Grunde die gleichen wie sonst auch in der Unternehmenskommunikation. Man könnte also sagen, jedes Investitionsvorhaben ist wie ein eigenes Unternehmen, das mit den entsprechenden Mitteln kommuniziert, nur im Kleinen.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag im Stakeholder Management aus?
Ein typischer Arbeitstag besteht tatsächlich aus zahlreichen Gesprächen. Wir sprechen mit vielen verschiedenen Personen, die einen unterschiedlichen Wissensstand sowie unterschiedliche Interessen und Positionen innehaben und die alle dementsprechend abgeholt werden wollen.
Der zweitwichtigste Bestandteil meines Arbeitstages ist die Dokumentation. Dadurch, dass die Kommunikation im Stakeholder Management so individuell ist, ist sie auch ziemlich fragmentiert. Die Herausforderung besteht also darin, jeder und jedem eine konsistente Botschaft mitzugeben, was aufgrund der Agilität der Projekte manchmal gar nicht so einfach ist. Um dabei den Überblick zu behalten, ist die Dokumentation der Gespräche unglaublich wichtig.
Du hast gerade die Bedeutung von Gesprächen mit den jeweiligen Bezugsgruppen angesprochen. Was würdest du sagen: Welche Rolle spielt das Zuhören bei deiner Arbeit?
Das ist ein sehr guter Punkt. In der Tat ist das Zuhören ein ganz essentieller Aspekt unserer Arbeit und auch eine wichtige Eigenschaft, die man in diesem Bereich mitbringen muss. Im Kern geht es darum, herauszufinden, was die Menschen bewegt: Welchen Wissensstand und welche Erwartungen bringen sie mit? Woher kommen potenzielle Ängste? Was können wir tun, um mögliche Sorgen zu verringern? Man muss die Menschen ernstnehmen und ihnen auf Augenhöhe begegnen, damit echter Dialog entstehen kann. Gutes Zuhören bildet dafür die Basis.
Was macht dir an deiner Tätigkeit am meisten Spaß?
Mir bereitet der Kontakt mit den Menschen vor Ort die größte Freude. In anderen Bereichen der Unternehmenskommunikation sitzt man ja einer eher anonymen Zielgruppe gegenüber; beim Stakeholder Management ist das anders. Man darf und muss menschlich sein. Natürlich ist Professionalität wichtig, aber man muss die Menschen persönlich abholen. Das heißt, man kann auch mal lockerer auftreten und einen witzigen Spruch bringen. Man tritt einfach als Mensch auf, nicht nur als anonymer Überbringer einer Botschaft.
Man tritt einfach als Mensch auf, nicht nur als anonymer Überbringer einer Botschaft.
Außerdem liebe ich die Vielfalt in meinem Beruf. Das eine Mal sitzt man bei Genehmigungsbehörden und frisst sich durch die Paragrafen. Dann sitzt man in der Kneipe und tauscht sich mit den Stadtratsmitgliedern aus. Und als Nächstes trifft man einen Umweltverband und hört sich dessen Belange an. Diese Bandbreite ist hochspannend.
Ich glaube, es gibt bei jeder Tätigkeit, so gerne man sie ausübt, Aufgaben, die eben dazugehören, aber die man manchmal gerne abgeben würde. Was ist das bei dir?
Naja, auch wenn es für unsere Arbeit sehr wichtig ist, gibt es Aufregenderes als das ganze Protokollieren und Dokumentieren (lacht). Und tatsächlich ist die Terminanbahnung manchmal eine echte Herausforderung. Stell dir vor, du veranstaltest eine Pressekonferenz und du willst ein großes Vorhaben öffentlich kommunizieren. Du benötigst mindestens den Ministerpräsidenten, den Bürgermeister, den Landrat und den Vorstand vor Ort. Und natürlich gerne zeitnah, schließlich soll das Projekt bald starten. Jetzt legst du alle Terminkalender übereinander und nirgendwo findet sich eine Lücke. Diese Terminfindung ist manchmal echt die Hölle (lacht).
Welchem Klischee gegenüber dem Stakeholder Management begegnest du und was möchtest du gerne entgegnen?
Beim Stakeholder Management läuft man manchmal dem Klischee über den Weg, dass man nur Imagearbeit betreibe und dass Intransparenz und Schönfärberei im Spiel seien. Das kann man aber relativ einfach entkräften, denn eine solche Arbeit wäre schlicht nicht nachhaltig. Unwahrheiten haben nun einmal kurze Beine und solche Praktiken würden uns sehr schnell auf die Füße fallen. Allein die Projektentwicklung beträgt mehrere Jahre und wir gehen von einer Betriebsdauer über Jahrzehnte aus, bis sich eine Anlage rechnet. Das bedeutet, wir sind sehr lange vor Ort – und die Menschen haben ein gutes Gedächtnis. Würden wir etwas beschönigen, würde uns dies sehr bald einholen. Daher finde ich es schade, wenn wir Stakeholder Manager in solche Schubladen gesteckt werden.
Was stellt die größte Herausforderung bei deiner Arbeit dar?
Das Informationsbedürfnis der Menschen vor Ort ist groß. Leider kann man gerade am Anfang solch komplexer Projekte viele Informationen oft noch gar nicht liefern, weil man sie schlicht noch nicht kennt. Etliche Antworten entwickeln sich erst im Laufe des Planungsfortschritts: Welche Emissionswerte werden erreicht oder welchen Wasserverbrauch wird die Anlage haben? Das bedeutet, dass wir zu Beginn eines Projektes viele sehr berechtigte Fragen noch gar nicht beantworten und den Informationsbedarf nicht stillen können. Wir wollen aber auch nicht den Eindruck erwecken, Dinge unter den Tisch zu kehren. Daher achten wir darauf, an den jeweiligen Standorten frühzeitig Gesicht zu zeigen und uns als Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen, um von Anfang an Vertrauen zu schaffen. Dabei ist es natürlich von Vorteil, dass wir ein regional verwurzeltes Unternehmen mit einer langen Tradition hier im Osten Deutschlands sind.
Das positive Feedback und die Akzeptanz der Menschen zeigen uns, dass wir die richtige Strategie verfolgen.
Außerdem ist auch hier wieder das Thema Ehrlichkeit von entscheidender Bedeutung: Wenn wir zum aktuellen Zeitpunkt der Projektentwicklung bestimmte Informationen noch nicht liefern können, gehen wir ganz offen und transparent damit um. Das positive Feedback und die Akzeptanz der Menschen zeigen uns, dass wir damit die richtige Strategie verfolgen.
Welche Skills und persönliche Eigenschaften sind deiner Meinung nach unentbehrlich, wenn man im Stakeholder Management arbeiten möchte?
Das strategisch-konzeptionelle Arbeiten bildet die Grundvoraussetzung. Zudem sind Einfühlungsvermögen und Empathie unverzichtbar, um die Perspektive zu wechseln und den Menschen und ihren Sorgen auf Augenhöhe zu begegnen. Doch man benötigt auch eine gewisse Resilienz, da leider nicht alle Leute aufgeschlossen und sachlich reagieren. Deshalb ist es wichtig, sich in jedem Augenblick bewusst zu sein, dass die Kritik sich nicht gegen einen persönlich richtet. Die meisten Gespräche sind aber zum Glück sehr positiv und am Ende erntet man ja auch die Lorbeeren für seine Arbeit (lacht).
Was möchtest du Studierenden und Absolvent:innen mitgeben, die sich für eine Karriere im Stakeholder Management interessieren?
Ich möchte sie gerne ermutigen, sich auch in Branchen zu bewerben, mit denen sie vielleicht noch keine Berührungspunkte hatten. Themen und Inhalte kann man sich erarbeiten, auch wenn sie erstmal wahnsinnig komplex erscheinen. Aber wenn man ein gewisses Instrumentarium aus dem Studium sowie die Fähigkeit, zuzuhören, mitbringt, dann kann man in dieser Branche wirklich viel erreichen. Also seid offen und habt den Mut, mitzumachen und die Energieversorgung der Zukunft mitzugestalten!
Vielen Dank an Anne Reyer für die Zeit und den Blick hinter die Kulissen!